Alzheimer- oder ParkinsonpatientInnen leiden unter Vergessen, Bewegungs- und Sprachstörungen. Abhilfe schaffen könnte die in Wien entwickelte Transkranielle Pulsstimulation (TPS), an der der Neurologe Roland Beisteiner die vergangenen acht Jahre mit hohem persönlichen Einsatz als Leiter einer internationalen Forschungsgruppe gearbeitet hat.

2020 wurde er dafür in der Kategorie „Humanitäres Engagement" für die Auszeichnung „Österreicher des Jahres“ nominiert.  
Das von Roland Beisteiner entwickelte Verfahren ist nicht invasiv, das bedeutet, der Kopf muss nicht geöffnet werden, die PatientInnen sind während der Behandlung bei vollem Bewusstsein. Und: Sie benötigen keine Medikamente und haben weder währenddessen noch danach Schmerzen. Der Grund: Ultraschallwellen.  

Ultraschall kann nicht nur als bildgebendes Verfahren eingesetzt werden, mit gezielten Ultraschallimpulsen lässt sich eine Reihe an Gehirnerkrankungen, die bisher nur eingeschränkt therapierbar sind, punktgenau behandeln. Einige revolutionäre Verfahren dieser Art wurden in den vergangenen Jahren maßgeblich in Toronto und auch an der MedUni Wien entwickelt. Das Wiener Verfahren verbessert Hirnfunktionen, indem noch funktionierende Nervenzellen von außen aktiviert werden.

„Mit der Magnetresonanz wird eine exakte Landkarte der Hirnareale des Patienten erstellt“, sagt Beisteiner. „So erkennen wir, wo die betroffenen Stellen sind.“ Das hochkomplexe Ultraschallgerät wird entsprechend positioniert und ein drei bis fünf Millimeter breiter und drei Zentimeter langer Impuls abgegeben, der kurzfristige Membranveränderungen an den Hirnzellen auslöst. Die Folge: Noch funktionsfähige Nervenzellen werden aktiviert, das Gedächtnisnetzwerk angetrieben und die Gedächtnisleistung verbessert. „Nach sechs Einheiten binnen zwei Wochen hatten die Alzheimerpatienten bereits deutlich verbesserte Gedächtnisleistungen“, schildert der Neurologe, der auch diplomierter Konzertcellist ist.
Verbesserungen sind bei verschiedenen neuropsychiatrischen Hirnerkrankungen wie Alzheimer-Demenz, Parkinson, Schlaganfall, Multipler Sklerose oder Nervenschmerzen erwartbar.

Eine soeben im Fachjournal Advanced Science von der MedUni Wien gemeinsam mit der Universität Toronto veröffentlichte Übersichtsarbeit zeigt, dass die neuen Therapien bereits an der Schwelle breiter Anwendung in der klinischen Praxis stehen.

In den vergangenen Jahren wurden neuartige Konzepte für die Ultraschall-Gehirntherapie entwickelt. Hochfokussierte Ultraschallwellen ermöglichen nun eine nicht-invasive Chirurgie, die fokale Übertragung von Therapeutika oder Genen an ausgewählten Stellen des Gehirns und die therapeutische Modulation neuronaler Netzwerke bei verschiedenen Gehirnerkrankungen. Laut Roland Beisteiner, unter dessen Leitung die neue Methode der transkraniellen Pulsstimulation mit Ultraschall (TPS) an der Universitätsklinik für Neurologie von MedUni Wien und AKH Wien entwickelt wurde, sind die neuartigen Ultraschall-Methoden kein „Entweder-Oder“, sondern ein echtes Plus für die klinische Praxis: „Die in Wien und Toronto entwickelten Techniken stellen neuartige Zusatzoptionen dar, mit denen wir bereits etablierte Therapien ergänzen können. Die inzwischen publizierten PatientInnendaten zeigen, dass die transkraniellen Ultraschallinnovationen sicher und für eine breite klinische Anwendung bereit sind.“ Der große Zusatzvorteil des Wiener Verfahrens: es ist nahezu nebenwirkungsfrei.

Wiener TPS-Stimulation: Breiter klinischer Roll-out in Sichtweite
Die unter Wiener Leitung von einem internationalen Konsortium entwickelte Nervenzell-Stimulation TPS wurde bereits Anfang 2020 in einem führenden Wissenschaftsjournal als Coverarbeit vorgestellt. Alzheimer-PatientInnen zeigten in dieser Pilotstudie über drei Monate anhaltende Verbesserungen. Der breite klinische Roll-out ist bereits angelaufen, erfordert laut Beisteiner aber besondere Fachexpertise: „Die neue Therapie ist in kontinuierlicher wissenschaftlicher Entwicklung und erfordert von den BehandlerInnen besondere neurologische, methodische und Hirnfunktionskenntnisse“, so Beisteiner. Neben den auch schon mit älteren, weniger genauen Hirnstimulationsverfahren untersuchten Erkrankungen Alzheimer, Parkinson, Schlaganfall, Multipler Sklerose und Nervenschmerzen gibt es für TPS wahrscheinlich auch ganz neue Einsatzbereiche. TPS ist das einzige Verfahren, das auch tiefe Hirnregionen gezielt nicht-invasiv aktivieren kann. Daher sind alle Erkrankungen, bei welchen eine Rehabilitation gestörter Hirnfunktionen über Aktivierung noch funktionierender Nervenzellen möglich ist, Kandidaten für die neue Wiener Therapie. Für Alzheimertherapie ist TPS bereits zugelassen (CE Zertifizierung).

Ultraschall-Methoden aus Toronto: Andere Technik, andere Ziele
Die beiden weiteren, klinisch federführend von Studien-Coautor Andres Lozano an der Universität Toronto entwickelten Methoden nützen ebenfalls Ultraschallwellen. Die gezielte nicht-invasive Chirurgie mittels Ultraschall ist bereits für essentiellen Tremor und tremordominantes Parkinsonsyndrom zugelassen.

Erstmals ohne Öffnung des Schädels lassen sich so durch gezielte Ausschaltung überaktiver Nervenzellen Fehlfunktionen des Gehirns therapieren – eine Methode, die in Zukunft bei vielen neurologisch bedingten Bewegungsstörungen relevant sein könnte. Die dritte neuartige Ultraschall-Methode, die gezielte Arzneimittel-, Antikörper- oder Gentherapie, löst eine der großen Herausforderungen der Neurologie, indem sie erstmals die lokale Öffnung der Blut-Hirn-Schranke nichtinvasiv ermöglicht. Denn obwohl viele hochwirksame Therapeutika grundsätzlich zur Verfügung stehen, bringt man sie oft nicht an die gewünschte Stelle ins Gehirn. „Durch das Überwinden dieser Barriere ist nun erstmals die gezielte Abgabe von Therapeutika und Genen in betroffenen Gehirnarealen möglich. Damit lassen sich potenziell all jene Gehirnerkrankungen behandeln, bei denen man mit Medikamenten gut lokal eingreifen kann, so zum Beispiel Tumor- und motorische System-Erkrankungen“, so Beisteiner.

Verbesserung der Leistungsfähigkeit im Alter
Für die Verbesserung der Leistungsfähigkeit im Alter, sollte die Methode besonders gut geeignet sein, da sie noch funktionierende Nervenzellnetzwerke aktiviert und verbessert. Wegen der hohen sozioökonomischen Bedeutung einer zunehmend alternden Bevölkerung, sind entsprechende Forschungsarbeiten bei älteren Gesunden auch geplant.

Erwartbare Verbesserungen: „Unsere Alzheimerstudie zeigte, dass in klinischen Tests die Leistungsverbesserung des Gehirns eindeutig war und auch der Leistungsabbau verzögert werden konnte. Subjektiv ist das nicht immer klar wahrzunehmen, allerdings berichten viele PatientInnen nach der Therapie deutlich aktiver zu sein und sich besser zu fühlen“, sagt Beisteiner. Wichtig ist, dass die Neurodegeneration – krankheits- oder altersbedingt – nicht gestoppt, sondern nur verzögert werden kann. Da nicht alle PatientInnen ansprechen, sind für eine seriöse individuelle Beratung klinische Tests vor und unmittelbar nach der Therapie erforderlich.
Voraussetzungen für einen Therapieversuch sind, dass keine Blutungsneigung (z.B. Therapie mit Gerinnungshemmern) und keine frischen Hirnverletzungen bestehen.

Anfragen zur Teilnahme an Studien
Die neuen Ultraschalltherapien werden im Rahmen von Studien sowie an verschiedenen Therapiezentren angeboten (zB in Wien, oder auch Asien) – außerhalb von Studien jedoch kostenpflichtig. Da es sich aber um hochkomplexe Verfahren handelt, erfordern sie eine umfangreiche Abklärung der Patientinnen und Patienten und ausgewiesene neurowissenschaftliche Expertise für die Behandlungsdurchführung. Interessenten können sich gerne melden.

Weitere Informationen:
Prof. Dr. Roland Beisteiner
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Informationstelefon Dienstag bis Donnerstag 9:00-12:00 Uhr: 0043-1-40400-34060

Literatur:
Beisteiner R, Lozano A. Transcranial ultrasound innovations start broad clinical application (2020) Advanced Science

R. Beisteiner, E. Matt, C. Fan, H. Baldysiak, M. Schönfeld, T. Philippi Novak, A. Amini, T. Aslan, R. Reinecke, J. Lehrner, A. Weber, U. Reime, C. Goldenstedt, E. Marlinghaus, M. Hallett, H. Lohse-Busch. Transcranial Pulse Stimulation with Ultrasound in Alzheimer’s disease – A new navigated focal brain therapy

 

DRUCK/PDF