Artikelbild Selbstbestimmtes Sterben in Würde?


von Paula Glaser

Im Dezember 2020 hat der Verfassungsgerichtshof das ausnahmslose Verbot der Hilfeleistung zum Suizid mit Wirkung vom 31. Dezember 2021 aufgehoben. Nun liegt es am Gesetzgeber bis zum Jahresende ein Gesetz mit neuen Rahmenbedingungen zu beschließen.

Welche Bedeutung, welche Auswirkungen hat dieses Gesetz für uns? Die Absicht, den Menschen ein selbstbestimmtes Sterben „in Würde“ zu gewähren, klingt auf den ersten Blick recht simpel und anwendbar. Schließlich ergaben Umfragen in der letzten Zeit jeweils eine große Zustimmung in der Bevölkerung zum assistierten Suizid bzw. auch zur Tötung auf Verlangen. Schwierigkeiten tun sich aber auf, wenn man sich genauer mit den möglichen Auswirkungen dieses Gesetzes befasst:
Zum einen ist unbedingt jeder Missbrauch zu verhindern und sicherzustellen, dass ältere, schutzbedürftige Menschen nicht unter Druck geraten! Zum anderen muss der Gesetzgeber auf den Spruch des Verfassungsgerichtshofes reagieren.

Einige grundsätzliche Fragen müssen beantwortet werden:

  • Wer darf Beihilfe leisten? Angehörige, Ärztinnen und Ärzte, Vereine, wie in der Schweiz?
  • Wer darf Sterbehilfe in Anspruch nehmen: alle Menschen unabhängig von Alter und Krankheit? Sterbehilfe auch für Menschen, die keine lebensbedrohende Erkrankung haben, für psychisch Kranke, eingeschränkt Entscheidungsfähige, Depressive, Minderjährige?
  • Wer begutachtet den Sterbewunsch? Ist es überhaupt möglich festzustellen, ob jemand ohne Zwang oder Druck von außen tatsächlich sterben will?


Diese und noch viele andere Fragen tun sich auf, wenn man diesen saloppen Sprüchen vom „selbstbestimmten Sterben“ auf den Grund geht. Zudem zeigen die Erfahrungen in Ländern, in denen assistierter Suizid oder Tötung auf Verlangen möglich ist, dass sich die Grundeinstellung der Gesellschaft zu Sterben und Tod ändert. Was früher die Ausnahme war, wird zur Regel (Dammbruch!) Eine Veränderung des Rechts erzeugt auch Veränderungen des moralischen Bewusstseins (Mieth, Dietmar: Perspektiven der klinischen Sterbehilfe aus der Sicht des Sozialethikers).

Wer Beihilfe leisten darf, ist nicht einfach zu beantworten. In erster Linie wären MedizinerInnen dazu vorzusehen. Doch verträgt sich das medizinische Ethos, Menschen zu heilen mit der Tatsache, Menschen zu töten? Was bedeutet es für das Vertrauensverhältnis zu ÄrztInnen, wenn diese nicht nur Leben retten, sondern auch töten sollen? Werden ÄrztInnen überhaupt bereit sein, das Töten von Menschen zu übernehmen? Der Präsident der Ärztekammer hat bereits darauf hingewiesen, dass es Aufgabe der ÄrztInnen ist, zu heilen und Leben zu retten!

Das Beispiel Schweiz zeigt, dass Sterbehilfeorganisationen große Probleme aufwerfen. Nicht nur, dass es für diese Organisationen ein lukratives Geschäft ist. Die Erfahrungen zeigen, dass zunehmend nicht nur schwerkranke Menschen diese Organisationen in Anspruch nehmen, sondern auch depressive, psychisch Kranke und auch nur unter „normalen“ Alterserscheinungen Leidende.
Die Zahl der assistierten Suizide mit 1.176 Fällen hat sich in der Schweiz im Jahr 2018 gegenüber dem Jahr 2010 mehr als verdreifacht. Das geht aus den aktuellen Daten des Schweizer Statistischen Bundesamts hervor (Pressemitteilung, 14.12.2020). Im Vergleich zum Vorjahr betrug der Anstieg 17 Prozent! Die Zahlen betreffen ausschließlich Personen, die in der Schweiz wohnhaft sind. Damit macht „Selbsttötung mit Hilfe von Dritten“ als Todesursache im Jahr 2018 bereits 1,8% aller Todesfälle in der Schweiz aus. Die Zahl der Ausländer, die im Zuge des sogenannten „Sterbehilfe-Tourismus“ in die Schweiz fahren, um sich mittels Suizid-Hilfe-Vereinen das Leben zu nehmen, ist darin noch nicht enthalten. (Aus: Bioethik Aktuell vom 17.12.2020). In einigen Kantonen ist die Werbung bzw. Tätigkeit dieser Sterbehilfeorganisationen auch in Pflegeheimen erlaubt!  
 
Theo Boer, ein Gesundheitsethiker, war zehn Jahre Mitglied der staatlichen Prüfungskommission für aktive Sterbehilfe in den Niederlanden. Bei den Salzburger Bioethik-Dialogen im Herbst 2020 berichtete er, dass er anfangs ein Befürworter der aktiven Tötung gewesen sei, in der Hoffnung, den Menschen einen qualvollen Tod zu ersparen. Dann wurde er jedoch kritischer und stellte fest, dass es ein Fehler war, aktive Sterbehilfe zu erlauben. „Hätten wir damals die heutige Palliativmedizin gehabt, wäre die Sterbehilfe womöglich nie legalisiert worden“, ist Boer heute überzeugt. Sein Befund: Es gibt Druck von außen auf sterbewillige PatientInnen. Aber der innere Druck, sich als Last zu fühlen, sei noch gefährlicher! Gerade bei Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen wisse man nicht, ob der Todeswunsch nicht Teil der Krankheit sei. Die Erfahrung zeige, dass der Todeswunsch ambivalent ist und Menschen selbst bei unheilbaren Erkrankungen lernen können, damit umzugehen. Unter den Psychiatern gebe es immer mehr „Totalverweigerer“ der Euthanasie.

Anfangs sehr restriktive Gesetze wurden im Lauf der Jahre immer weiter aufgeweicht, was einer Dynamik entspricht, die nach Beobachtung des Ethikers offenbar nicht aufzuhalten ist. „Kaum ist es legalisiert, gehen Befürworter vor Gericht, das sei ungerecht, grenze etwa psychiatrische Patienten und chronisch Kranke aus“, so Boer.
Seit einigen Jahren wird in den Niederlanden gefordert, dass auch rüstige Senioren ab 75 Jahren, die mit ihrem Leben abgeschlossen haben, eine „Letzte-Wille-Pille“ für den Suizid in der Apotheke frei abholen können, auch für Senioren zu zweit! Ein Gesetzesvorschlag dazu wurde eingebracht. Nun soll auch die Sterbehilfe für Kinder unter 12 Jahren legalisiert werden (wie schon in Belgien seit 2014).
Die Entwicklungen in den Niederlanden würden zeigen, dass es „uns nicht guttut, einander den Tod zu organisieren“.

Einer holländischen Studie von Anfang 2020 zufolge nannten 56% der Menschen mit Sterbehilfe-Wunsch als Grund Einsamkeit, 42% äußerten die Sorge, anderen Menschen zur Last zu fallen und 36% nannten Geldmangel. Fazit: Wenn Menschen in ihrer letzten Lebensphase Zuwendung und Beistand erhalten, ohne das Gefühl haben zu müssen, jemandem zur Last zu fallen, würde so mancher Sterbewunsch wohl erst gar nicht entstehen.

Und noch etwas sollte zu denken geben: In Australien ist seit fünf Jahren assistierter Suizid erlaubt. Nun musste ein Hospiz schließen, das sich geweigert hatte, Sterbehilfe zu ermöglichen – die staatliche Unterstützung wurde eingestellt!

Das Beispiel Kanada zeigt weiters sehr deutlich, dass der Einführung des assistierten Suizids auch ökonomische Überlegungen zugrunde liegen. Studienautoren rechnen hoch, dass sich das kanadische Gesundheitssystem durch aktive Sterbehilfe bereits 89,6 Mio. CAD (56 Mio. Euro) erspart hat. (Cost Estimate for Bill C-7 “Medical Assistance in Dying” vom 20.10.2020). Sollte das Parlament einer derzeit debattierten Ausweitung von Euthanasie wie sie in Kanada unverhohlen genannt wird, zustimmen, könnte für 2021 die Kostenersparnis fast doppelt so hoch sein, schreiben die Autoren.
Außerdem liegt ein Gesetzesantrag vor, nach dem die Wartefrist zur Durchführung des assistierten Suizids fallen soll.

Wenn selbstbestimmtes Sterben erwünscht ist, gibt es in Österreich eine Reihe von Möglichkeiten dafür vorzusorgen: Mit einer Patientenverfügung, einer Vorsorgevollmacht oder eines Vorsorgedialogs können alle vorsorgen, die es tun wollen. Und dies, ohne Dritte zur Beihilfe zum Töten zu veranlassen.  

Wie schon ausgeführt, ist das Schlagwort vom „selbstbestimmten Sterben“ zu hinterfragen. Wer kann wirklich definitiv feststellen, welche Ursachen ein Sterbewunsch hat? Ist dieser Wunsch eine Momentaufnahme aufgrund aktueller Beschwerden oder ist er einfach von Erlebnissen ausgelöst worden, wie z.B. Besuche engster Angehöriger, die nur sporadisch erfolgen, unbedachte Äußerungen über die hohen Kosten der Pflege? Auch die  Medien bringen immer wieder Meldungen, dass die Kosten des Gesundheitswesens in den letzten Lebensjahren so immens hoch sind.  Die Erfahrungen mit schwerkranken Menschen zeigen, dass sich diese Wünsche rasch wieder ändern können: Durch einen Besuch, durch empathische  Bemerkungen, oder einfach durch ein „Nicht-alleine-Lassen“.

Dieses Wissen ist ein Auftrag für uns alle, Menschen nicht ihrer Einsamkeit zu überlassen, sie aufzusuchen, ihnen zu zeigen, wie wertvoll sie auch noch sind, wenn sie keine (Arbeits-) Leistungen mehr vollbringen können und vor allem, dass ihre Pflege und „Dasein“ keine unzumutbare Belastungen sind.


Mag.a Paula Glaser, MA
Ehrenamtl. Hospizteam Admont-Gesäuse

 

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