Wien, 13.12.2023 (OTS) „Wenn jede Pflegeperson in Teilzeit nur einige Stunden mehr arbeiten würde…“ hört man in Verbindung mit der Diskussion um den Fachkräftemangel nun immer wieder. Aber ist es so einfach? Der Lebenswelt Heim Bundesverband zu Teilzeit und Vollzeit in Pflege und Betreuung.
Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von Pflege- und Betreuungspersonen liegt bei etwa 29 Stunden. Das ergibt eine Analyse der Pflegedienstleistungsstatistik für 2021. Die Daten dazu werden jährlich österreichweit erhoben. Bei den Beschäftigten in der stationären Pflege liegt die Wochenarbeitszeit im Durchschnitt tendenziell etwas höher als bei den mobilen Diensten.
In den Pflege- und Betreuungsberufen sind, wie in anderen Berufsfeldern auch, die Gründe für Teilzeitarbeit vielfältig. Die Teilzeitquote bei Frauen ist traditionell hoch und in den letzten Jahren noch gestiegen. Die hohe Teilzeitquote bei Frauen lässt sich daraus ableiten, dass sie nach wie vor überwiegend Betreuungsaufgaben in familiären Kontexten wahrnehmen, seien es die Kinder oder auch pflegebedürftige An- und Zugehörige.
Bei genauerer Betrachtung zeigen sich neben den Betreuungsaufgaben noch zwei wesentliche Gründe für Teilzeitbeschäftigungen. Bei den älteren Arbeitnehmerinnen bietet vor allem die Altersteilzeit Möglichkeiten, bis zum Pensionsantrittsalter die täglichen Arbeitsanforderungen gut bewältigen zu können. Das hat zudem auch den Vorteil, dass wertvolles Erfahrungswissen möglichst lange im Betrieb gehalten werden kann. Junge Menschen, die am Beginn ihres Arbeitslebens stehen, verfolgen meist Gesamtlebenskonzepte, in denen die Arbeit ein Teil und mitunter nicht mehr der allein dominierende Faktor für Lebensqualität ist. Dies bestätigt sich in der täglichen Praxis in vielen Bewerbungs- und Einstellungsgesprächen.
Die sogenannte „Generation Z“ hat den Ruf, eine ausgewogene Balance zwischen Arbeitsleben und Freizeit anzustreben. Was wir häufig so kritisch betrachten, könnte auch eine Nachwirkung der „Generation Burnout“ sein: die Elterngeneration der jungen Menschen, die heute in das Berufsleben einsteigen, ist oft von einem hohen Arbeitseinsatz und einer hohen Identifikation mit dem Beruf geprägt. Ihre Kinder haben häufig das Bild: „Meine Eltern rackern bis zum Umfallen. Für mich möchte ich das nicht.“ Die Herausforderung liegt darin, Vollzeitbeschäftigung zu attraktivieren, ohne Teilzeitbeschäftigung zu entwerten.
Junge Menschen kaufen nicht gerne die Katze im Sack, sondern wollen ein ausgewogenes Package an Rahmenbedingungen, das vom Entgelt über Dienstplanungssicherheit, Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten bis hin zu Aspekten der Erhaltung der physischen und psychischen Gesundheit geht.
Die Gesamtheit von berufsimmanenten Belastungsfaktoren, die sich aus Turnus-, Wechsel- oder Nachtdiensten ergibt, verbunden mit dem Ansteigen von physischen und psychischen Herausforderungen infolge altersbedingter Mehrfacherkrankungen der zu betreuenden Menschen führt zu einem Ansteigen der Teilzeitquote älterer Beschäftigter in den letzten Jahren vor dem Pensionsantrittsalter.
Dem könnte man zum Beispiel damit begegnen, sie so einzusetzen, dass körperliche Arbeitsbelastungen sinken und gleichzeitig Kolleg:innen von ihrer langjährigen Berufserfahrung profitieren können. Alternsgerechte Arbeitsbedingungen haben hohe Bedeutung gewonnen. Andrea Sigl, Hausleiterin im Seniorenwohnhaus Liefering in Salzburg, hat zu diesem Zweck ein Konzept für den Einsatz älterer Arbeitnehmer:innen entwickelt. So werden diese unter anderem als Praxisanleiter:innen eingesetzt oder in fachlichen Spezialgebieten wie Schmerz und Wundmanagement. „Das entlastet auch unsere jüngeren Mitarbeiter:innen“, berichtet Andrea Sigl. „Wir haben zum Beispiel einer Kollegin, die in der Alterspension noch weiterarbeitet, die Ausbildung zur Pain Nurse ermöglicht.“
Während der Corona-Pandemie haben wir begonnen, Pflegepersonen, die eigentlich schon in Alterspension sind, zu einer Weiterarbeit zu motivieren. „Viele von ihnen haben spätestens beim ersten Steuerausgleich ein böses Erwachen erlebt“, beschreibt Präsident Jakob Kabas: „Für uns ist es derzeit eine wichtige Stütze, dass Pflegepersonen, denen das gesundheitlich noch möglich sind, in der Pension noch etwas dazu verdienen möchten. Unser Steuer- und Abgabensystem darf sie dafür nicht bestrafen!“
Die Forderungen des Lebenswelt Heim Bundesverbandes in Richtung der Entscheidungsträger sind deshalb:
- Teilzeitarbeit leistet ihren Beitrag zum Gesamten und darf daher gesellschaftspolitisch nicht entwertet werden, denn es gibt viele Personen in den Pflege- und Betreuungsberufen, denen aufgrund verschiedener Mehrfachbelastungen (Betreuungspflichten, Pflege von Angehörigen etc.) keine Vollzeitarbeit möglich ist.
- Vielmehr gilt es, Vollzeitarbeit zu belohnen und zu Anreize schaffen, dass einerseits auch junge Menschen wieder gerne Vollzeit arbeiten wollen und andererseits ältere Arbeitnehmer:innen bis zu ihrer Pension Vollzeit arbeiten können,
- durch Steuer- und Abgabenerleichterungen
- zB: statt einer generellen Arbeitszeitverkürzung auf 32 Wochenstunden: Vollzeit arbeiten, aber nur 32 Wochenstunden versteuern müssen,
- zB: Personen, die sich in einer Ausbildung befinden, Zuverdienstmöglichkeiten schaffen, ohne dadurch Nachteile in Kauf nehmen zu müssen,
- zB: Anreize für Jungfamilien schaffen, um entweder weiterarbeiten oder sich weiter qualifizieren zu können
- und durch Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Die Bereitschaft zu Wochenend- und Nachtdiensten, zum Einspringen etc. würde steigen, wenn die Arbeitsbelastung während der einzelnen Dienste sinken würde, durch
- ausreichende Personalkapazitäten,
- technische Innovationen und Digitalisierung,
- gesundheitsförderndes Arbeitsumfeld.
Im Fokus aller Überlegungen muss die gute Versorgung der Bewohner:innen in den Pflegeheimen stehen. Das bedeutet, dass rund um die Uhr ausreichend Pflege- und Betreuungspersonal vor Ort sein muss, das Bedingungen vorfindet, die eine hochqualitative Arbeit ermöglichen.